Fernsehturm goes Schwanensee oder die Müsliriegel-Misere

Ein verstörendes Rätsel zu Beginn von Folge 3 - was haben ein Berliner Schulhof, TV Now Produktionen und ein Großteil der diesjährigen GNTM Teilnehmerinnen gemeinsam?

Abgesehen von der hohen Fluktuation natürlich?

Richtig, den Gossenjargon.

Besonders eine Modelanwärterin und Teilzeitgangsterella, deren Vornamen man im ersten Moment mit hochwertiger Qualität verbinden würde, macht in dieser Woche deutlich, dass ihre Ausdrucksweise und Benehmen leider dem genauen Gegenteil entsprechen.

Müsliriegel Madame Chanel beginnt über Konkurrentin Elisa herzuziehen, nachdem diese eine Bemerkung zur Essenaufteilung macht und zu ihrem Unglück auch noch eine Vorliebe für gesündere Ernährung besitzt. „Friss Dein Avocadotoastbrot und halt Dein Maul.“
Zugegeben - ähnliche Dinge denke ich ja auch manchmal. Allerdings dann im Bezug auf mich selbst, wenn ich mal wieder eine Instagramstory mit vollem Mund gedreht habe.

Während man mit Chanel in Folge 1 noch Mitleid wegen ihrer chronischen Erkrankung und den damit einhergehenden Vernarbungen hatte, beginnt sich der Zuschauer so langsam zu fragen, ob es nicht gerade ihr, in der Position als oft beäugte und in der Vergangenheit ausgegrenzte Person, recht gut zu Gesicht stehen würde, die Müsliriegel-Misere hinunter zu schlucken und sich ihren Teil einfach zu denken. Oder wie Kandidatin Linda sagen würde „Ich sehe dieses Gesicht und denk mir: halt einfach die Fresse.“

Willkommen in der Primetime!

Doch zurück zum Hauptakt. Diese Woche steht unter dem Motto „Körperbeherrschung“.

Innovativ wie eh und je.

In den Gastrollen sehen wir Alexandra Georgieva, Ballettdirektorin am Friedrich Stadt Palast, als knallharte Choreographin am Rande eines Nervenzusammenbruchs, Hobby-Kanal-Freistil-Schwimmer Marcus Schaefer als Fashionfotograf in Kurzarbeit und Motivations Badass Nikeata Thompson als Laufband-Coach und grundsätzlicher Lichtblick überhaupt, in dieser Folge.

Die zukünftigen Supermodels sollen ein Fotohooting mit Tutu und Glitzerkrönchen a la Schwanensee absolvieren, mit Berliner S-Bahn und Fernsehturm im Hintergrund, versteht sich. Wie ein Damoklesschwert thront das Wahrzeichen des Alexanderplatzes gestreckt und aufrecht hinter den Kandidatinnen - gäbe es Haltungsnoten, hätte er sich als Einziger, ein goldenes Finalticket verdient.

Zuvor müssen die Mädchen aber erst noch ein knallhartes Balletttraining durchlaufen. Es wird Disziplin erwartet. Keine Gespräche. Ich hatte mich bereits gefreut. Es war von kurzer Dauer. Auch die Begeisterung von Kandidatin Mareike spricht Bände „What the fuck - Ballett Teaching geht gar nicht.“ Die ehemalige Profi-Basketballerin stellt weiterhin selbstkritisch fest: „Ich seh’ aus wie ein kleiner Körperklaus, wie son Stock.“ Mach Dir nix draus Mareike - professionelle Ballerinen trainieren Jahre lang, um diesem harten Sport die optische Grazie zu verleihen, die ihn so besonders macht. Von den Kandidatinnen zu erwarten, sie könnten innerhalb weniger Stunden Ballett lernen, ist nicht nur naiv, sondern schlichtweg grob fahrlässig. Heidi versucht noch ihren Kopf aus der Shitstrom-Schlinge zu ziehen, da sie vermutlich ahnt, dass diese Edition nicht für nationale Begeisterung sorgen wird. Auf die Frage, was sie von den Prüflingen erwarte, antwortet sie: „Dass sie nicht wie Ballerinas das machen, sondern verstehen, dass sie Models sind.“ Den Teil mit dem Grammatik-Nachhilfe-Crashkurs und dem Hinweis, dass „Ballerinas“ lediglich eine flache Schuhart, aber nicht die Mehrzahl von Ballerina ist, lasse ich an dieser Stelle nur ganz nebenbei mit einfließen. Weiterhin stelle man sich einen Schauspieler während einer Spielszene als Serienkiller vor, wenn der Regisseur plötzlich dazwischen ruft „Denk dran, dass du nicht wie ein Mörder das machst sondern wie ein Multimilliardär mit Oscar und einer eigenen Yacht.“ Mit Sicherheit hilft das, die Szene noch authentischer abzudrehen.
Ich erinnere mich auch immer wieder gern an GNTM Pferdeshootings, bei denen die Models den Tieren richtig schön in den Rücken fallen und am besten noch ein scharfes Gebiss eingeschnallt wurde - ich weiß, das artet hier etwas aus, aber können wir bitte darüber sprechen, wie grundsätzlich notwendig es ist, dass Models für ein Foto, Sportarten nachahmen sollen, von denen sie absolut keine Ahnung haben, geschweige denn, die nötigen Kompetenzen besitzen? Ja, ich schweife ab, jedoch trifft dies bei mir einen wunden Punkt.

Unabhängig von Philosophien über Körper, Stöcke, Schauspieler und Pferde, werden sich dem aufmerksamen Beobachter in diesem Abschnitt 3 Fragen aufdrängt haben.

1. Warum trägt Linda beim Balletttraining ein Pünktchenkleid, während alle anderen Kandidatinnen Sportkleidung anhaben?
2. Welcher Praktikant hatte die famose Idee, ungelernte und unGELENKE Frauen in Spitzenschuhe zu stecken, was normalerweise mehrere Jahre hartes Trainings voraussetzt?
3. Wo, zum Geier, war Kandidatin Alysha die ganze Zeit und wieso sieht man nicht, dass Kandidatin Sarah, freiwillig ausgestiegen ist?

Die Antwort auf diese Fragen, bleibt Prosieben seinen Zuschauern schuldig. Dafür hat Frau Klum eine andere tolle Botschaft parat: das Shooting wird als Wettkampf zwischen jeweils zwei Mädchen in direkter Konkurrenz stattfinden und die bessere, ist sofort eine Runde weiter.

Transgender-Frau Alex fühlt sich unwohl in den knappen Outfits. „Ich hinterfrage meine Weiblichkeit doch öfter, als ich mir manchmal eingestehe.“ An dieser Stelle möchte ich eine Lanze für Alex brechen. Im ganzen diesjährigen Cast scheint sie eine der wenigen zu sein, die wirklich reflektiert, souverän und authentisch ist. Für mich definitiv mindestens eine der Top 5.

Alex wird von Heidi gelobt und als die Bessere, direkt eine Runde weiter geschickt.

Nicht bei allen Kandidatinnen fällt Heidi die Entscheidung so leicht „Ihr seid extrem gleich gut.“

Naja, zumindest nicht extrem gleich schlecht.

Am Ende des Tages sind 10 Kandidatinnen sicher weiter und die anderen müssen nochmal zu einem Entscheidungswalk. 

Zurück in der Modelvilla, versammelt Alex vorerst noch die Mädchen in gemeinschaftlicher Runde und berichtet über ihr, erst zwei Jahre zurückliegendes Outing.

Ich musste mich hier selbst an einige schöne Momente in unserer Staffel erinnern, die es selbstverständlich nie ins Fernsehen geschafft haben, da sie viel zu viel Harmonie und glückliche Momente (ohne Heidi und den Model-Bumms) ausgestrahlt hätten. Geburtstage, heimlich eingeübte Lieder, gemeinsame Gesangseinheiten mit Klavier nach einer Entscheidung in der Kirche, Pyjamaparties, Kochabende .. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es wahre Freundschaften und tiefe Verbundenheit geben kann, die bei Topmodel entsteht. Nur sind es immer die Momente, welche unabhängig des TV Show Themas geschehen und deshalb wenig bis gar nicht gezeigt werden.

Zurück in der diesjährigen Staffel, müssen die übrig gebliebenen Mädels, die beim Ballett Shooting nicht direkt weiter kamen, zu einem Entscheidungswalk der besonderen Art. Gerade noch einen süßen Traum träumend, sollen sie so tun, als würden sie in einen Alptraum geraten, aus dem sie, in einen Hauch von blauem Nichts gehüllt, welcher dem Morgenmantel von Wendy aus Disneys Peter Pan verblüffend ähnlich sieht, und auf einem Laufband joggend, versuchen zu fliehen. Wer erkennt auch die Parallelen zu einigen Ex-GNTM Biografien? Kein Weg aus den Fängen der Klumschen Agentur, egal wie schnell man auch rennt.

Jedoch gibt es in diesem Jahr KEINEN Vertrag bei der Model-Weltelite Verwaltung OneEins zu gewinnen. Ich weiß. Das muss man erstmal sacken lassen. Prosieben vermarktet seine Talente nun selbst, das spart nicht nur einiges an Provision und Ärger, sondern wirkt auch der hohen Fluktuation nach Ausstrahlungsende aufgrund von fehlender einseins Kompetenz entgegen.

Für Kandidatin Nana ist der Alptraum glücklicherweise schon frühzeitig vorbei. Heidi hat leider kein Foto für sie und entscheidet sich in der letzten Runde für Liliana. Verständlich, denn das Anziehen ihrer Designerstiefel kostete extra viel Zeit und Frau Klum würde mit Sicherheit nicht riskieren, in den fancy Tretern die Beine gebrochen zu bekommen, hätte sie sich dazu entschieden, Liliana nach Hause zu schicken.

Ob es in der nächsten Folge Beef um Brokkoli und Kesselchips gibt, oder sich Heidi doch weiter an Leberwurstbrötchen hält, erfahrt ihr wie immer am Donnerstag auf ProSieben oder am Freitag hier auf jaenna.com

Ich freu mich auf Euch.